Kreuzbandverletzungen
Die Kreuzbänder sind zwei sich überkreuzende Bandstrukturen, welche zentral im Knie angeordnet sind. Sie gewährleisten während der Beugung des Knies eine Roll-Gleitbewegung von Ober- und Unterschenkelknochen gegeneinander und verhindern ein übermäßiges Gelenkspiel. Daneben haben sie eine gewisse Bedeutung für die Rotations- und seitliche Stabilität des Knies. Das hintere Kreuzband zerreißt deutlich seltener als das vordere, häufig bei Verkehrunfällen, wo der Unterschenkel gewaltsam nach hinten verschoben wird.
Dagegen sind Zerreißungen des vorderen Kreuzbandes sehr häufige Sportverletzungen. Es kann unter anderem zerreißen, wenn der Unterschenkel feststeht und eine Drehung des Oberkörpers bei gebeugtem und seitlich belastetem Knie stattfindet. Es bedarf keiner Fremdeinwirkung, um das vordere Kreuzband zu zerreißen. Durch die langen Hebel am Kniegelenk entstehen sehr hohe Kräfte an den Bändern des Knies. Ein intaktes vorderes Kreuzband erträgt Kräfte in einer Größenordnung von 1800-2500 Newton bis es zerreißt.
Meist bemerkt der Patient bei der Verletzung unmittelbar ein "Knacken" im Knie und es besteht schmerzbedingt häufig zunächst eine gewisse Belastungsunfähigkeit. Einblutungen ins Knie, die sich als prall-elastische Schwellung äußern, treten bei mehr als 70% der Patienten in den ersten Stunden auf und sind hinweisgebend auf eine Kreuzbandverletzung, wenngleich andere Verletzungen ebenfalls zu Einblutungen ins Gelenk führen können. In selteneren Fällen ist die Zerreißung wenig dramatisch und wird manchmal erst später bemerkt.
Da das vordere Kreuzband die Bewegung des Unterschenkels relativ zum Oberschenkel nach vorn einschränkt, kann nach einer Zerreißung eine Instabilität in dieser Richtung entstehen. Nachdem die akuten Beschwerden abgeklungen sind (nach einigen Tagen bis Wochen) entwickeln viele Patienten daher ein gewisses Unsicherheitsgefühl, das Knie gibt beim Gehen auf unebenem Gelände nach, vor allem in Situationen, in denen man sich nicht bewusst auf das Gehen konzentriert. Daneben sind häufig wiederkehrend auftretende Schmerzen zu finden, da es zu Überlastungen und kleineren Verletzungen des Kniegelenkes durch das vermehrte Gelenkspiel kommt.
Untersuchungen
Der Verdacht auf eine Kreuzbandverletzung kommt auf, wenn ein entsprechendes Verletzungsereignis vom Patienten berichtet wird und oben genannte Erscheinungen bestehen. In der akuten Situation kann es schmerzbedingt unmöglich sein, das Knie diffizil zu untersuchen und eine entsprechende Diagnose zu stellen. Es gibt keine zwingende Notwendigkeit unmittelbar operativ einzugreifen, wie dies beispielsweise bei Frakturen häufig erforderlich ist. Letztere allerdings müssen durch eine Röntgenaufnahme ausgeschlossen werden, da der selbe Mechanismus, der zur Zerreißung des Kreuzbandes führt, beispielsweise auch zu einer Fraktur des Schienbeinkopfes führen kann. Nach dem Abklingen der akuten Beschwerden kann der Arzt in der Regel die Instabilität bei der klinischen Untersuchung des Knies feststellen.
Bei eindeutigem Befund sind weitere Untersuchungen nicht notwendig. Häufiger jedoch wird eine Kernspintomographie (MRT) veranlasst, weil sie eine hohe Empfindlichkeit zur Diagnose von Kreuzbandverletzungen aufweist und es erlaubt, mögliche Begleitverletzungen der Menisken und des Knorpels zu erfassen.
Behandlung
Im Gegensatz zu anderen Bandverletzungen, beispielsweise denen des inneren Seitenbandes am Knie, zeigt das Kreuzband keine wesentliche Tendenz zur Heilung. Trotzdem ist eine operative Wiederherstellung nicht immer erforderlich. Das Kreuzband wird in seiner Funktion von den Seitenbändern, der Kniegelenkskapsel und vor allem der Oberschenkelmuskulatur unterstützt. Die tatsächlich resultierende Instabilität kann daher relativ gering und muss nicht zwingend von wesentlichen Beschwerden begleitet sein. Insbesondere bei älteren Patienten ohne größeren Aktivitätsanspruch kann mit konservativer Therapie durchaus eine zufriedenstellende Situation erzielt werden. Im jüngeren Lebensalter kommt aber neben den im Allgemeinen höheren sportlichen Bedürfnissen noch ein weiteres Argument zum Tragen: Das vermehrte Gelenkspiel führt zu Mikroverletzungen von Knorpel und Menisken.
Da weder Knorpel noch Menisken eine gute Regenerationstendenz besitzen, summieren sich diese Schäden im Laufe der Zeit bis hin zur Arthrose. Dieser Effekt hat natürlicherweise größere Konsequenzen, wenn er früher im Leben auftritt, wenngleich solche Sekundärschäden natürlich auch bei älteren Patienten zu finden sind. Insofern ist bei jungen, sportlich aktiven Patienten eine Rekonstruktion des Kreuzbandes häufig angebracht. Aber auch bei älteren Menschen kann eine als sehr deutlich empfundene Instabilität Anlass für eine Operation sein.
Operationstechnik
Es wurde früher versucht, das zerrissene Band zu nähen. In der Mehrzahl der Fälle lies sich damit keine ausreichende Wiederherstellung der Funktion erzielen. Auch der Ersatz mit künstlichem Material, z.B. aus Kevlar- oder Karbonfasern hat enttäuscht. Gegenwärtig werden daher vor allem körpereigene Bänder und Sehnen als Ersatz für das zerrissen Band verwendet. Bisher wurde am häufigsten ein Teil der Kniescheibensehne verwendet, da es gute biomechanische Eigenschaften hat und gut einheilt. Allerdings sind Komplikationen zu beobachten, die durch die Entnahme des Transplantates selbst entstehen. Am häufigsten ist festzustellen, dass es den Patienten nicht mehr möglich ist, auf dem betroffenen Bein zu knien.
Daher werden zunehmend Alternativen verwendet, vor allem Sehnen, die an der Innenseite des Oberschenkels verlaufen (sogenannte Semitendinosus- und Gracilissehne) und die über einen kleinen Schnitt entnommen werden. Es resultiert keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung aus der Entnahme dieser Sehnen. An der hiesigen Klinik werden letztere favorisiert, wenngleich mitunter auf andere Transplantate zurückgegriffen wird.
Die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes erfolgt arthroskopisch gestützt, d.h. minimalinvasiv. Entscheidend für die spätere Funktion ist, dass es gelingt, den anatomisch korrekten Verlauf des vorderen Kreuzbandes wiederherzustellen. Das Transplantat wird dabei in Tunnel eingelassen, welche in Ober- und Unterschenkelknochen gebohrt werden. Dort wird es fixiert, wobei es hierzu verschiedene Techniken und Materialien gibt. Wir verwenden vorwiegend Verankerungsmaterialien, welche aus Titanium oder resorbierbaren kunststoffähnlichem Stoffen beschaffen sind. Letztere bestehen aus Polylacktat oder Polyglykolsäure und haben den Vorteil, dass sie sich im Knochen im Laufe der Zeit (Monate bis Jahre) abbauen. Sie müssen nicht entfernt werden und stellen kein technisches Problem für Revisionseingriffe dar, welche insgesamt nicht ganz selten sind.
Wenn erforderlich werden auch Meniskus- und Knorpelschäden in der gleichen Sitzung mit versorgt.
Der Krankenhausaufenthalt beträgt 4-5 Tage. Allerdings gibt es einen Trend zur ambulanten Durchführung solcher Operationen.
Nachbehandlung
Der Nachbehandlungszeitraum ist recht lang. Dies begründet sich darin, dass das Transplantat in Abhängigkeit von seiner Art 6 Wochen bis 3 Monate zum Einheilen benötigt. Anfangs ist das Transplantat dem natürlichen Kreuzband in seiner Belastbarkeit mindestens ebenbürtig. Es wird allerdings im Kniegelenk umgebaut und durchläuft dabei eine Phase verminderter Belastbarkeit. Dieser Umbau beansprucht Monate und kann durch krankengymnastische Maßnahmen und ähnliches nicht wesentlich beschleunigt werden.
Daher ist es in der Regel erst nach 8-9 Monaten wieder möglich, kniebelastenden Sportarten (Fußball, Tennis, Alpinski u.ä.) nachzugehen. Leichtes Laufen und Fahrradfahren ist nach etwa 3-4 Monaten wieder möglich. In der Frühphase wird meist eine intensive krankengymnastische Behandlung durchlaufen, häufig mit einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme. Entscheidend ist, eine gute muskuläre Stabilisierung des Kniegelenkes zu erreichen, was letztlich auch Kriterium für die Wiederaufnahme entsprechender sportlicher Betätigung ist. Das Wiedererlangen der Arbeitsfähigkeit hängt naturgemäß von der Art der beruflichen Betätigung ab, bei Berufen ohne körperliche Belastung kann dies schon nach 2-3 Wochen der Fall sein, häufig vergehen aber 6 Wochen und mehr.
Ziel der Kreuzbandrekonstruktion ist es, eine ausreichende Stabilität des Kniegelenkes zu erzielen. Idealerweise gelingt es, das frühere Niveau sportlicher Aktivität wieder zu erreichen. Da eine Kreuzbandrekonstruktion nur Ersatzcharakter haben kann und selten die Funktionalität des natürlichen Kreuzbandes erreicht, wird es nicht immer möglich sein, wieder an das ursprüngliche Niveau anzuknüpfen. Auch herrscht eine gewisse Uneinigkeit in der wissenschaftlichen Literatur darüber, wie zuverlässig durch eine Rekonstruktion des Kreuzbandes spätere Schäden am Knorpel und den Menisken verhindert werden können.
Aus diesen Gründen hat die nicht-operative Behandlung weiterhin ihre Bedeutung, sofern sich damit eine zufriedenstellende Stabilisierung erreichen lässt.
Spätkomplikationen
Ein rekonstruiertes Kreuzband kann wieder zerreißen, naturgemäß vor allem dann, wenn der ursprünglich zur Zerreißung führende Sport wieder ausgeübt wird. Insgesamt sind Verletzungen rekonstruierter Kreuzbänder häufiger als die des natürlichen Kreuzbandes, da die Biomechanik nur unvollständig wiederhergestellt werden kann. Auch werden überschießende Narbenbildungen innerhalb des Knies beobachtet, was zu Einschränkungen der Beweglichkeit führen kann.